Welterklärung als Geheimwissen

Welterklärung als Geheimwissen

Verschwörungstheorien als gefühlte Wirklichkeit

„Moon-Hoax“: Die Mondlandung von Apollo 11 sei in einem Fernsehstudio inszeniert worden. Oder zum Corona-Virus: die Panik davor werde ungerechtfertigt von Regierungen gefördert, die damit individuelle Freiheitsrechte beschneiden möchten. Ein weiteres Thema: „False Flag“: Der Anschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2002 sei von der CIA zu verantworten. Und immer wieder aktuell das politisch sehr relevante Thema „Reichsbürger“: Die Bundesrepublik Deutschland sei kein souveräner Staat, sondern so etwas wie eine Firma, z. B. eine GmbH. Einen Friedensvertrag habe es nie gegeben, daher bestehe das Deutsche Reich weiter fort. Und deshalb müsse die unrechtmäßige, nur scheinbar demokratisch legitimierte Regierung in Deutschland durch eine rechtmäßige Obrigkeit ersetzt werden, die aus Experten bestehen solle.

Diese wenigen Beispiele stehen für das Phänomen des Verschwörungsdenkens. Wer diese oder viele andere vergleichbare Überzeugungen vertritt beansprucht für sich, eine alternative Wahrheit zu kennen, die hinter offiziellen Erklärungen für unterschiedliche Phänomene zu finden sei, aber von einer „Verschwörerclique“ systematisch unterdrückt werde, um Menschen beispielsweise eines Staates zu unterdrücken oder zu schädigen. Sehr oft vernetzen sich Anhängerinnen und Anhänger solcher Gewissheiten konspirativ in den sozialen Medien und versuchen, „Aufklärungskampagnen“ zu starten. Häufig vermischen sie dafür echte Nachrichtenelemente mit falschen Zusammenhängen („Fake News“) und nutzen Kanäle wie etwa das Netzwerk „Telegram“, die für diese Art von Ansichten offen sind und sich dabei meist auf eine angeblich bedrohte Meinungsfreiheit berufen – nur hier kann man es doch wohl noch sagen und muss es deshalb auch tun! Eine besondere Gefahr besteht darin, dass extremistische und rassistische Gedanken besonders bei Vorliegen von psychischen Störungen zu schweren Straftaten führen können wie z. B. beim Anschlag von Hanau 2020. Kurzum: Verschwörungsdenken fußt auf der grundlegenden Überzeugung, dass die Wirklichkeit anders ist als offiziell behauptet und eine kleine Gruppe von „Eingeweihten“ im Verborgenen die Fäden ziehe, um die große Masse von Menschen zu schädigen. Dabei kann es sich um sehr unterschiedliche Gruppen handeln, etwa um Freimaurer, Juden, Pharma- oder Techkonzerne, um das Finanzkapital, allgemein um „Regierungen“ oder um außerirdische Reptiloiden. Die Verschwörer würden zur Tarnung falsche Theorien und Informationen propagieren und damit die Bevölkerung über ihre eigentlichen Absichten täuschen, also manipulieren. Nur besonders Eingeweihte („Wissende“, „Truther“) hätten dies erkannt und würden deshalb von den Verschwörenden mit Repressalien bedroht.

Verschwörungstheorien können als ein Versuch verstanden werden, auf komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge und dadurch entstehende Gefühle von Verunsicherung oder Vereinzelung zu reagieren. Durch klare Zuordnungen von Gut und Böse, von wahr oder falsch vereinfachen sie die Welt. Damit eröffnen sie Menschen – scheinbar – die Möglichkeit, sich in ihrer Welt sicher und geschützt einzurichten. Verschwörerisches Denken ist grundsätzlich misstrauisch gegenüber offiziellen Erklärungen oder Institutionen sowie gegen bekannte etablierte Medien („Regierungspresse“). Wahrheit und Fantasie werden vermischt, tatsächliche Probleme mit übertriebenen Aussagen überladen. Eine Abgrenzung verschwörerischer Überzeugungen gegenüber tatsächlichen illegitimen Absprachen, man denke etwa an die Manipulationssoftware an Dieselmotoren, ist meist schwierig, denn ein grundlegendes geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild verschließt sich praktisch immer kritischen Gegenargumenten. Dies führt häufig zur Spaltung von Familien, von Freundeskreisen oder anderen privaten Gruppen.

Wie also umgehen mit Menschen, die einem Verschwörungsglauben anhängen? In der Weltanschauungsarbeit ist die Nachfrage nach Beratung angesichts zunehmender verschwörungstheoretischer Phänomene stark angestiegen. Diskussionen mit Anhängerinnen und Anhängern von Verschwörungstheorien erweisen sich dabei in der Regel kaum als sinnvoll, denn verschwörungstheoretische Argumente entziehen sich einer rationalen Prüfung und werden meist als Beweis für die Macht der Verschwörer und für die Wahrheit oder Richtigkeit der eigenen Überzeugung angesehen. So besteht die Problematik, dass durch die Wiederholung von Argumentationen zu einer Verfestigung des verschwörerischen „Denkens“ beigetragen wird. Stattdessen ist es besser, Gegenerzählungen anzubieten und zu betonen. Das sollte individuell mit den Angehörigen, Freunden oder Arbeitskollegen besprochen werden. Hilfreich kann auch sein, sich auf ein Gespräch mit Menschen, die einem Verschwörungsglauben anhängen, praktisch vorzubereiten etwa mit einem „Sparringspartner“, um so die eigene persönliche Betroffenheit etwa als Familienangehöriger und die eigenen Gefühle zu erspüren und schließlich gefestigter in das eigentliche Gespräch zu gehen.

In der Auseinandersetzung mit Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretikern kann es hilfreich sein, nach deren Motive und Beweggründe zu fragen und zu versuchen, darauf einzugehen. Wer lediglich eine Nähe zu Verschwörungstheorien hat, kann auf Einzelaspekte angesprochen werden: Wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass tausende von NASA-Angestellten jahrzehntelang nichts über den angeblichen Moon-Hoax erzählt haben? Kritisch geprüft werden können auch Umfang, Reichweite und Effektivität einer Verschwörungserzählung.

Eine grundsätzliche Bemerkung zum Schluss. Immer sollte geprüft werden, ob mit Sexisten, Rassisten, Antisemiten usw. überhaupt diskutiert werden soll, wenn das nur dazu führen kann, dass die Grenzen des Sagbaren und die Tabugrenzen dadurch weiter hinausgeschoben werden.

Olaf Grobleben

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