Über den Tag hinaus

Über den Tag hinaus

Oder: was kommt nach dem Krieg in der Ukraine?

Geländegewinne der russischen Armee oder Zurückeroberungen durch ukrainische Einheiten, Waffenlieferungen ja oder nein, der Einsatz von Streubomben oder Raketenabwehrsystemen: in den Berichterstattungen über den Ukrainekrieg dominieren militärische Themen. Das mag zum gegenwärtigen Stand der Auseinandersetzungen auch durchaus nachvollziehbar sein. Andererseits: gilt nicht auch, dass ein Frieden nie allein durch den Einsatz militärischer Mittel herbeigeführt werden, sondern nur als Ergebnis von Verhandlungen der verfeindeten Kriegsparteien entstehen kann? Und welche Rollen könnten den Kirchen dabei zukommen? Können sie etwas zur Befriedung der Situation in der Ukraine oder gar zum Frieden beitragen, und bitteschön, was? Ein Versuch einer Antwort.

Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Krieg auch – wenn natürlich nicht ausschließlich - mit religiösen Motiven gerechtfertigt wird, insbesondere durch die Russisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchates (ROK), die größte orthodoxe Kirche überhaupt und deren gegenwärtigem Oberhaupt, dem Patriarchen Kyrill I. Er rechtfertigt den Krieg als Teil einer nationalistischen Rückbesinnung auf überkommende Werte der Rus und damit als Teil einer Art von Kreuzzug gegen den Westen, dem Dekadenz und Abfall von überkommenen christlichen Positionen vorgeworfen wird.

Die russisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchates ist Mitglied im ÖRK, dem Ökumenischen Rat der Kirchen mit Sitz in Genf. Natürlich, so könnte man meinen, könnte es naheliegen, die ÖRK-Mitgliedschaft der ROK ruhen zu lassen oder diese gar aus ihm zu verbannen. Andererseits: was wäre damit ge-wonnen? Der ÖRK hat sich als Institution klar für eine Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine ausgesprochen. So kann er zumindest versuchen, gegenüber der ROK als ihrem Mitglied Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Damit werte ich diese Haltung des ÖRK positiv.

Ich gehe noch darüber hinaus. Vermutlich dürfte es das Engagement und die Mittel einzelner christlicher Kirchen überfordern, friedensstiftende Maßnahmen umzusetzen. Aber können die Kirchen nicht einen geschützten Raum abgeben, in dem erste, und seien sie noch so tastend, Gespräche über eine mögliche Zukunft in der Ukraine und in Osteuropa nach diesem unsäglichen Krieg möglich sind? Gespräche, in denen es etwa um die Friedensfähigkeit vom Menschen geht, die gegenwärtig primär mit dem Einsatz von Waffengewalt konfrontiert werden? Konkret: Kirchen nicht als Vermittler, sondern als Raum-Geber?

Das macht für mich auch auf der regionalen bzw. gemeindlichen Ebene durchaus Sinn. Vor Ort erlebe ich Aus- und Abgrenzung, Beschimpfungen und Nicht-Verstehen. Auch hier können und sollten wir für gegenseitiges Verständnis eintreten, für ein gegenseitiges Zuhören und für einen Austausch von Argumenten. Kirchen und ihre Gemeinden als Raum-Geber: das ist so auch konkret möglich, in dem Gespräch angeboten und Begegnungen geschehen können. Es ist ein zwar kleiner, aber m. E. durchaus möglicher Schritt hin zum Frieden unabhängig von Einsatz militärischer Mittel und von Überlegungen etwa im Blick auf eine Korrektur oder gar Neuformulierung einer evangelischen Friedensethik. Letzteres mag durchaus Sinn machen – aber der Sinn kirchlichen Engagements besteht meines Erachtens primär darin, Schritte auf dem Weg des gerechten Friedens zu gehen. Lassen Sie uns das versuchen, konkret in der Ökumene und vor Ort in unseren Gemeinden.

Olaf Grobleben

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